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Innerhalb des allgemeinen Rahmens der göttlichen Gebote hat jedes seinen besonderen Lebensweg zu gehen. Dieser ist bestimmt durch die eigentümliche Natur des Menschen, durch seine Begabung, durch seine besonderen Führungen und insonderheit durch seinen irdischen Beruf. Das alles sind gleichsam die Schranken, innerhalb deren er zum Ziele laufen soll, 1. Kor. 9, 24. Die Erkenntnis des Lebenszweckes und des Weges, sowie der Mittel und Kräfte, die einem dazu gegeben sind, sowie der besonderen Hindernisse, die man zu überwinden hat, gibt die notwendige und heilsame Beschränkung der Aufgabe, ohne die sich der Mensch ins Weite und Schrankenlose verliert. In der rechten Beschränkung aber liegt die Kraft und im Maße das Gelingen. So wird auch das Leben des Menschen ein einheitliches, ein Leben aus einem Stück und Guß. Indem sich der Mensch, immer das Ziel im Auge, auf die nächste Aufgabe, insonderheit seines Berufes, beschränkt, leistet er scheinbar zwar nur ein Minimum, in der That aber das Höchste. „Wer etwas Großes will und schafft, der sammle treu und unerschlafft im kleinsten Punkt die höchste Kraft“ (Goethe). Er vermeidet auf diesem Wege die Zersplitterung seiner Kräfte und konzentriert sich selbst und arbeitet in Sammlung. Er wird dadurch befähigt, auch immer Größeres zu leisten. Auf diesem Wege lernt er auch, sich nicht als etwas für sich Seiendes ansehen, sondern sich gliedlich einfügen in die Gemeinschaft und das große Gebot der Liebe an dem Nächsten üben, und das ist in der That der Weg zur Vollkommenheit, 1. Kor. 12, 31; Matth. 25, 29; Luk. 16, 10–12. In den gottgegebenen Lebensbeziehungen soll der Christ sich als Christ erweisen und so sich in diesen natürlichen Beziehungen heiligen; daher die Haustafeln in den apostolischen Briefen, Eph. 5, 15–6, 9; Kol. 3, 18; es gibt auch einen Beruf in der Kirche, 1. Kor. 12, 1–14; 1. Petr. 5, cf. die Pastoralbriefe. Das sind die gewiesenen Gebiete, auf welchen das Christenleben sich bethätigen soll. Darum drangen die Reformatoren auf die Berufswerke und bezeichneten den Fleiß darinnen als christliche Vollkommenheit, Conf. Aug. Art. XVI, Apol. Conf. Aug. XXVII, pag. 276, 27; 278, 36. 38, besonders 47–50. Im Gegensatz zur römischen Lehre, nach welcher die Vollkommenheit in der Erfüllung der consilia evangelica besteht, betonen unsere Bekenntnisse, daß das neue geistliche Leben seine Gesundheit und Echtheit bewähren müsse in den Schranken des irdischen Berufs. So heißt es Conf. Aug. XVI, dem locus classicus für die lutherische