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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8
Fürst Bismarck gegen den Universitätsprofessor Dr. Theodor Mommsen

Fürsten, die Regierungen und die Millionen der Völker beleidigen zu wollen. Der Angeklagte hat die Wirtschaftspolitik angegriffen, dahinter stehen natürlich Personen, aber Angriffe auf eine Wirtschaftspolitik sind keineswegs Injurien gegen die Politiker. Deshalb ist die Anklage nicht zu halten, wenn selbst der Zusatz „ob hoch oder gering“ auf den Fürsten Bismarck bezogen werden sollte, denn nicht Diejenigen sind die Angegriffenen, welche die Wirtschaftspolitik in die Hand nahmen, sondern die Wirtschaftspolitik als solche ist angegriffen. Der erste Richter hat mit Recht in dem inkriminierten Passus keinen Bezug auf den Fürsten Bismarck finden können. Für ganz verfehlt halte ich die tatsächliche Interpretation, welche das Reichsgericht dem inkriminierten Passus gibt, indem es ihn in zwei Teile zerlegt und meint, er mache Unterschiede zwischen den wirtschaftlichen Theoretikern und den Praktikern. Ich bestreite, daß von einer solchen Unterscheidung irgendwie die Rede ist. Es handelt sich um eine Kritik einer Richtung, welche aus der Zusammenfassung der verschiedensten Bestrebungen besteht, und eine solche Kritik ist nach § 193 erlaubt, und zwar nicht nur für künstlerische und gewerbliche Leistungen. Hinter jeder künstlerischen und gewerblichen Leistung steht doch ganz sicher eine Person, ohne daß eine Kritik der „Leistung“ den „Leister“ treffen soll. Professor Reuleaux hat mit seiner bekannten Kritik „Billig und Schlecht“, welche er über unsere Industrie fällte, sicher nicht daran gedacht, die vielen Tausende von Industriellen zu beleidigen. Ganz ebenso ist in diesem Falle nur eine bestimmte Politik angegriffen, nicht aber eine bestimmte Persönlichkeit. Sodann erinnere ich daran, daß die Rede in einer Wahlbewegung gehalten worden ist, wie sie erhitzter wohl noch nie in Preußen vorgekommen sein mag, und in einer solchen Zeit hat der Angeklagte geglaubt, daß es auch seine Pflicht, wie die eines jeden guten Bürgers sei, offen Farbe zu bekennen. Ich komme nun zu der Erörterung der Frage: Ist Fürst Bismarck

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)