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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

Unter allgemeiner Spannung wurde der Diener Paul Wieland als Zeuge in den Saal gerufen. Er war ein schlanker, großer junger Mann von 21 Jahren; er machte einen sehr harmlosen und vertrauenswürdigen Eindruck. – Der Verteidiger protestierte gegen die Vorvereidigung des Zeugen. Wenn der Angeklagte auch sagt: er sei der Meinung, daß Wieland als Täter nicht in Betracht komme, so sei doch ein leiser Verdacht der Täterschaft nicht ausgeschlossen. – Staatsanwalt: Es ist bisher auch nicht der geringste Schimmer eines Verdachts der Täterschaft gegen den Zeugen zutage getreten, es liegt mithin keinerlei Grund zur Aussetzung der Vereidigung vor. – Angekl.: Ich habe gegen die Vereidigung des Zeugen nichts einzuwenden. – Der Gerichtshof beschloß, die Vereidigung auszusetzen. – Der Zeuge erklärte alsdann auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei in der Frankfurter Dienerschule ausgebildet worden. Am 20. Oktober 1906 sei er bei Frau Molitor in Stellung getreten. Es könne sein, daß er sich etwas ungeschickt angestellt habe, es sei seine erste Stellung gewesen. Frau Molitor sei deshalb oftmals erzürnt gegen ihn gewesen. Er habe sich aus diesem Anlaß mit Frau Molitor überworfen. Am Sonntag vor dem Morde habe er um Urlaub gebeten unter dem Vorgeben, in die Kirche gehen zu wollen. Er sei aber anstatt dessen zu dem Stellenvermittler Langguth gegangen und habe diesen gebeten, ihm eine andere Stellung zu verschaffen. Er habe zu Langguth gesagt: Der Frau Molitor könne man nichts recht machen. „Sie sei verrückt“, habe er nicht gesagt. Er habe allerdings gesagt: Frau Molitor nehme ihre Diener stets aus der Frankfurter Dienerschule, von anderer Seite erhalte sie überhaupt keine Diener. – Vors.: Waren Sie mit dem Essen zufrieden? – Zeuge: Mit dem Essen war ich sehr zufrieden. – Der Zeuge bekundete im weiteren auf Befragen: Am 6. November 1906, nachmittags gegen halb 6 Uhr, hatte er verschiedene Gepäckstücke nach dem Bahnhof zu tragen. Alsdann habe er verschiedene Einkäufe besorgt. Kurz nach 6 Uhr habe er in der Nähe der Lindenstaffel eine

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/43&oldid=- (Version vom 1.8.2018)