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vielleicht ist der lange Aufenthalt im Gefängnis der Anfang eins Gesundungsprozesses? Vert. R.-A. Dr. Thiele: Hatte die Angeklagte im Trancezustande Visionen? Sachv.: Ja, das gehörte aber gewissermaßen zum Programm. Wie weit dabei ein krankhafter Zustand oder Simulation vorliegt, kann ich nicht sagen. – Vert.: Liegt bei solchen Visionen eine Einengung des Bewußtseins im Sinne des § 51 vor? – Sachv.: Nein. – Ungemein interessant war die Aussage des Kaufmanns Paul Krüger: In einer Sitzung, an der vornehme Damen, wie Frau Gräfin v. Moltke und Frau Generalin v. Moltke teilnahmen, hat die Angeklagte die herrlichsten Blumen apportiert. Bald darauf fand eine Sitzung in der Niederwallstraße statt. Ich kam so spät aus Chemnitz, daß ich erst erschien, als die Sitzung fast zu Ende war. Ich ging zu Frau Rothe ins Nebenzimmer und reichte ihr beide Hände zur Begrüßung. Frau Rothe reichte mir auclı beide Hände und während wir uns gegenseitig festhielten, fiel plötzlich ein förmlicher Blumenregen auf uns hernieder. Es ist ausgeschlossen, daß Frau Rothe eine Hand hierbei gebrauchen konnte. Bald darauf griff Frau Rothe in die Luft und hatte eine Apfelsine in der Hand. Eine ganz besondere Geschichte passierte mir im November 1901. Ich hatte im Westen Berlins eine Anzahl Geschäftsbesuche erledigt und stattete alsdann der Frau Rothe einen Besuch ab. Beim Betreten der Wohnung bemerkte ich, daß ich meinen Regenschirm in einem der Läden habe stehen lassen. Ich wollte umkehren, Frau Rothe sagte jedoch: Lassen Sie nur den Schirm, der wird sich schon finden. Ich setzte mich neben Frau Rothe aufs Sofa: Frau Rothe stopfte Strümpfe. Da sah ich plötzlich ganz deutlich, wie Frau Rothe nach der Fensterecke griff und meinen Schirm hervorholte. Im nächsten Augenblick war die Vision verschwunden. Nach etwa zehn Minuten begab ich mich auf die Suche nach meinem Regenschirm. Schon im zweiten Laden sagte man mir: „Jawohl, hier ist Ihr Schirm.“ Von dem Ladeninhaber wurde mir mitgeteilt: Kurz nach