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unser Ergebnis nicht erschüttern würde.

Sie wissen, daß der Kampf des wissenschaftlichen Geistes gegen die religiöse Weltanschauung nicht zu Ende gekommen ist, er spielt sich noch in der Gegenwart unter unseren Augen ab. So wenig sonst die Psychoanalyse von der Waffe der Polemik Gebrauch macht, so wollen wir es uns doch nicht versagen, in diesen Streit Einsicht zu nehmen. Wir erreichen dabei vielleicht eine weitere Klärung unserer Stellung zu den Weltanschauungen. Sie werden sehen, wie leicht sich einige der Argumente, die die Anhänger der Religion vorbringen, zurückweisen lassen; andere mögen sich allerdings der Widerlegung entziehen.

Die erste Einwendung, die man hört, lautet, es sei eine Vermessenheit der Wissenschaft, die Religion zum Gegenstand ihrer Untersuchungen zu nehmen, denn diese sei etwas Souveränes, jeder menschlichen Verstandestätigkeit Überlegenes, dem man mit klügelnder Kritik nicht nahekommen darf. Mit anderen Worten, die Wissenschaft ist zur Beurteilung der Religion nicht zuständig. Sie sei sonst ganz brauchbar und schätzenswert, solange sie sich auf ihr Gebiet beschränkt, aber die Religion sei nicht ihr Gebiet, da habe sie nichts zu suchen. Läßt man sich durch diese barsche Abweisung nicht abhalten und fragt weiter, worauf sich dieser Anspruch an eine Ausnahmsstellung unter allen menschlichen Angelegenheiten gründet, so erhält man zur Antwort, wenn man überhaupt einer Antwort gewürdigt wird, die Religion darf nicht mit menschlichem Maß gemessen werden, denn sie ist göttlicher Herkunft, uns durch Offenbarung

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Sigmund Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1933, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Neue_Folge_der_Vorlesungen_zur_Einfuehrung_in_die_Psychoanalyse_1933.pdf/235&oldid=- (Version vom 21.5.2018)