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die Tatsache der Traumzensur zeigt aber, daß noch genug vom Verdrängungswiderstand auch während des Schlafs erhalten geblieben ist.

Hier eröffnet sich uns ein Weg zur Beantwortung der Frage, ob der Traum auch eine Funktion hat, ob er mit einer nützlichen Leistung betraut ist. Die reizlose Ruhe, welche der Schlafzustand herstellen möchte, wird von drei Seiten bedroht, in mehr zufälliger Weise von äußeren Reizen während des Schlafs und von Tagesinteressen, die sich nicht abbrechen lassen, in unvermeidlicher Weise von den ungesättigten verdrängten Triebregungen, die auf die Gelegenheit zur Äußerung lauern. Infolge der nächtlichen Herabsetzung der Verdrängungen bestünde die Gefahr, daß die Ruhe des Schlafs jedesmal gestört wird, so oft die äußere oder innere Anregung eine Verknüpfung mit einer der unbewußten Triebquellen erreichen kann. Der Traumvorgang läßt das Produkt eines solchen Zusammenwirkens in ein unschädliches halluzinatorisches Erlebnis einmünden und versichert so die Fortdauer des Schlafs. Es ist kein Widerspruch gegen diese Funktion, wenn der Traum zeitweilig den Schläfer unter Angstentwicklung weckt, wohl aber ein Signal, daß der Wächter die Situation für zu gefährlich hält und nicht mehr glaubt, sie bewältigen zu können. Nicht selten vernehmen wir dann noch im Schlaf die Beschwichtigung, die das Aufwachen verhüten will: Aber es ist ja nur ein Traum!

Soviel, meine Damen und Herren, wollte ich Ihnen über die Traumdeutung sagen, deren Aufgabe es ist, vom manifesten Traum zu den latenten Traumgedanken

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Sigmund Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1933, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Neue_Folge_der_Vorlesungen_zur_Einfuehrung_in_die_Psychoanalyse_1933.pdf/23&oldid=- (Version vom 21.5.2018)