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Das Zusammentreffen dieser drei Inhalte der Religion ist nicht ganz durchsichtig. Was soll die Aufklärung über die Entstehung der Welt mit der Einschärfung bestimmter ethischer Vorschriften zu tun haben? Die Zusicherungen von Schutz und Beglückung sind mit den ethischen Anforderungen inniger verknüpft. Sie sind der Lohn für die Erfüllung dieser Gebote; nur wer sich ihnen fügt, darf auf diese Wohltaten rechnen, auf den Ungehorsamen warten Strafen. Übrigens gibt es bei der Wissenschaft etwas Ähnliches. Wer ihre Anwendungen mißachtet, meint sie, setzt sich Schädigungen aus.

Man versteht das merkwürdige Zusammensein von Belehrung, Tröstung und Anforderung in der Religion erst, wenn man diese einer genetischen Analyse unterzieht. Diese darf von dem auffälligsten Punkt des Ensembles, von der Belehrung über die Weltentstehung ausgehen, denn warum sollte eine Kosmogonie[WS 1] ein regelmäßiger Bestandteil des religiösen Systems sein? Die Lehre ist also, daß die Welt von einem menschenähnlichen, aber in allen Stücken, Macht, Weisheit, Stärke der Leidenschaft vergrößerten Wesen, einem idealisierten Übermenschen geschaffen wurde. Tiere als Weltschöpfer weisen auf den Einfluß des Totemismus hin, den wir später wenigstens mit einer Bemerkung streifen werden. Es ist interessant, daß dieser Weltschöpfer immer nur einer ist, auch wo an viele Götter geglaubt wird. Ebenso, daß es zumeist ein Mann ist, obwohl es keineswegs an Andeutungen weiblicher Gottheiten fehlt und manche Mythologien die Weltschöpfung grade damit beginnen lassen, daß ein Manngott eine weibliche Gottheit, die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kosmogonie im Duden. Abgerufen am 17. April 2018.
Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1933, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Neue_Folge_der_Vorlesungen_zur_Einfuehrung_in_die_Psychoanalyse_1933.pdf/225&oldid=- (Version vom 21.5.2018)