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schärferen Ausdruck verschafft. Diese Neuheit in der Trieblehre möchte ich aber nicht vor Ihnen ableiten; auch sie ruht im Wesentlichen auf biologischen Erwägungen; ich werde sie Ihnen als fertiges Produkt vorführen. Wir nehmen an, daß es zwei wesensverschiedene Arten von Trieben gibt, die Sexualtriebe, im weitesten Sinne verstanden, den Eros, wenn Sie diese Benennung vorziehen, und die Aggressionstriebe, deren Ziel die Destruktion ist. Wenn Sie es so hören, werden Sie es kaum als Neuheit gelten lassen; es scheint ein Versuch zur theoretischen Verklärung des banalen Gegensatzes zwischen Lieben und Hassen, der vielleicht mit jener anderen Polarität von Anziehung und Abstoßung zusammenfällt, welche die Physik für die anorganische Welt annimmt. Aber es ist merkwürdig, daß diese Aufstellung doch von Vielen als Neuerung empfunden wird, und zwar als eine sehr unerwünschte, die möglichst bald wieder beseitigt werden sollte. Ich nehme an, daß ein starkes affektives Moment sich in dieser Ablehnung durchsetzt. Warum haben wir selbst so lange Zeit gebraucht, ehe wir uns zur Anerkennung eines Aggressionstriebs entschlossen; warum nicht Tatsachen, die offen zu Tage liegen und jedermann bekannt sind, ohne Zögern für die Theorie verwertet? Wahrscheinlich würde es auf geringen Widerstand stoßen, wenn man den Tieren einen Trieb mit solchem Ziel zuschreiben wollte. Aber ihn in die menschliche Konstitution aufzunehmen, erscheint frevelhaft; es widerspricht zu vielen religiösen Voraussetzungen und sozialen Konventionen. Nein, der Mensch muß von

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Sigmund Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1933, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Neue_Folge_der_Vorlesungen_zur_Einfuehrung_in_die_Psychoanalyse_1933.pdf/142&oldid=- (Version vom 21.5.2018)