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Die Geburt z. B., unser Vorbild für den Angstzustand, kann doch kaum an sich als eine Schädigung betrachtet werden, wenngleich die Gefahr von Schädigungen dabei sein mag. Das Wesentliche an der Geburt wie an jeder Gefahrsituation ist, daß sie im seelischen Erleben einen Zustand von hochgespannter Erregung hervorruft, der als Unlust verspürt wird und dessen man durch Entladung nicht Herr werden kann. Heißen wir einen solchen Zustand, an dem die Bemühungen des Lustprinzips scheitern, einen traumatischen Moment, so sind wir über die Reihe neurotische Angst-Realangst-Gefahrsituation zu dem einfachen Satz gelangt: das Gefürchtete, der Gegenstand der Angst ist jedesmal das Auftreten eines traumatischen Moments, der nicht nach der Norm des Lustprinzips erledigt werden kann. Wir verstehen sofort, durch die Begabung mit dem Lustprinzip sind wir nicht gegen objektive Schädigungen gesichert worden, sondern nur gegen eine bestimmte Schädigung unserer psychischen Ökonomie. Vom Lustprinzip zum Selbsterhaltungstrieb ist noch ein weiter Weg, es fehlt viel daran, daß beider Absichten sich vom Anfang an decken. Wir sehen aber auch noch etwas anderes; vielleicht ist dies die Lösung, die wir suchen. Nämlich, daß es sich hier überall um die Frage der relativen Quantitäten handelt. Nur die Größe der Erregungssumme macht einen Eindruck zum traumatischen Moment, lähmt die Leistung des Lustprinzips, gibt der Gefahrsituation ihre Bedeutung. Und wenn es sich so verhält, wenn sich diese Rätsel durch eine so nüchterne Auskunft beheben, warum sollte es nicht möglich sein,

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Sigmund Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1933, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Freud_Neue_Folge_der_Vorlesungen_zur_Einfuehrung_in_die_Psychoanalyse_1933.pdf/129&oldid=- (Version vom 21.5.2018)