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Ende der achtziger Jahre flammte dann der Chauvinismus in Gestalt des famosen Generals Boulanger lichterloh auf.

Der Verfasser war damals in Paris und erinnert sich der Umzüge von Tollhäuslern mit der roten Nelke im Knopfloch, des Straßenjubels um den Volkssänger Paulus, des Fiebers der Revanche, bis Boulanger feige vor seinen Feinden nach Brüssel floh.

Ein dritter französischer Blutkoller äußerte sich 10 Jahre später im Fall des Kapitäns Dreyfus.

Wir sahen wieder in diesem Prozeß die finsteren Pariser Mächte bloßgelegt, die zum erneuten Waffengang mit Deutschland drängten. Und diese Stimmung stieg und stieg. Sie äußerte sich kurz vor dem jetzigen Krieg in zahllosen kleinen Ausbrüchen kommender Siegestrunkenheit. Der Verfasser erlebte es 1913, daß die alte Sarah Bernhard in dem Rostandschen Stück „Aiglon“, als Sohn Napoleons I., nicht weitersprechen konnte, als sie die Beute der Schlacht bei Austerlitz aufzählte. Das Publikum jauchzte. Die Vorstellung wurde unterbrochen. Die Schauspielerinnen stiegen mit Tellern zum Publikum herunter, um für die französische Luftflotte zu sammeln. Die Musik spielte:

„Allons, enfants de la Patrie!“
‚Auf, Kinder Frankreichs, zu den Waffen!
Der Tag des Ruhms ist wieder da!’

Und ebenso wie diese geistige Entwicklung nach 1870 verlief die politische Entwicklung Frankreichs nach 1870. Zunächst war es allerdings erschöpft und isoliert und widmete sich dann, nachdem es wieder zu Kräften gekommen, der Gründung eines großen Kolonialreichs, eroberte 1881 Tunis, 1882 Annam, 1884 Tonking, 1893 einen großen Teil von Siam, 1894 das Königreich Dahomey, 1895 Madagaskar, 1899 einen großen Teil Nordafrikas, 1900 das westliche Marokko, 1904 den Rest von Siam und endlich von 1905 ab ganz Marokko mit Ausnahme der Nordküste.

England, dasselbe England, das sonst ein Zetergeschrei bei dem bloßen Gedanken erhob, daß Deutschland irgendwo auf der Welt eine Kohlenstation erwerben könne, ließ die Gründung dieses französischen Riesenreiches ruhig geschehen. Es kam zwar einmal wegen der Oase Faschoda hart mit Frankreich aneinander, aber dann schloß es mit ihm am 8. April 1904 jenen denkwürdigen Vertrag der Entente cordiale, einen Vertrag ganz nach englischem Rezept, in dem beide Teile einander etwas schenkten, was ihnen gar nicht gehörte, in dem Frankreich an England Ägypten und England an Frankreich Marokko gab. Deutschland wurde gar

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Rudolph Stratz: Frankreich (Vortrag von Rudolph Stratz). Kriegs-Presse-Amt, Berlin 1917, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Frankreich.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)