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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

zornigen Gebärde streckte er den Arm aus – „da ziehen sie hin wie erbärmliche Hasen, die in die Flucht gejagt sind, eure Volksbeglücker und Vorkämpfer. Wenn sie nur ihr Fell in Sicherheit bringen! Wollt ihr solchen Männern trauen? So haltet doch eure Augen offen und fragt euch: Ist das Wahrheit, was sie euch lehren? Werdet ihr wirklich so geknechtet und bedrückt, wie sie sagen? Gebt Antwort, ihr Männer von Kronenthal!“

Eine tiefe Stille. Erregte, erhitzte Gesichter ringsum. „Er ist ein Rungs!“ schrie eine Stimme. „Hört nicht auf den Rungs!“

Alles schwieg. Furchtlos, mit Falkenblicken sah der alte Rausuppensche sich um. „Männer von Kronenthal,“ rief er wieder, „kommt zur Besinnung! Seht hier, meine grauen Haare haben viel erlebt, und das weiß ich: wer seine Kirche und seinen Kaiser verachtet, der ist ein elender Mann! Dem blüht kein Glück, einem rechtschaffenen Manne aber folgt Achtung und Segen. Geht nach Hause, ihr Leute, und fragt euch auf’s Gewissen, ob der alte Rausuppensche Herr die Wahrheit spricht oder nicht.“

„Er spricht die Wahrheit!“ rief schrill und freudig die Stimme eines alten Mütterchens. „Schon als kleiner Jungherrchen hat er immer die Wahrheit gesprochen. Ich kenn’ ihn von klein auf, war seine Amme!“

„Alte Lihbing!“ rief der Baron bewegt. „Alte Lihbing, wo kommst du her?“ Er sprang vom Prellstein und drängte zu der Alten hin.

Strahlend vor Freude küßte sie ihm die Hand.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/87&oldid=- (Version vom 31.7.2018)