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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

geleerten Marktkörbe über den wackelnden Dampfersteg getragen hatte und nun mit trotzig aufgeworfener Oberlippe auf fünf Kopeken mehr Trägerlohn bestand.

Ein paar jugendliche Lungerer standen, die Hände in den Hosentaschen, grinsend daneben. Aus der Rocktasche des einen lugte verräterisch ein Flaschenhals. Jetzt stießen sie einander an. „Ein richtiger deutscher Kungs!“ sagte der eine halblaut. „Wohl so’n Baron. Sieh, was der für’n feinen Koffer hat! Oder ist’s der hinkende Teufel selber; das linke Bein ist ihm ja zu kurz geraten. Und das da ist wohl das gnädige Fräulein Braut? Nu, ich, Jahn Kalning, hätt’ mir eine frischere ausgesucht; dünn wie’n Brett!“ Sie brachen in ein rohes Gelächter aus.

„Platz da!“ sagte die ruhige Stimme des Herrn. Er trug einen grauen Überzieher und einen weichen Filzhut mit breiter Krempe. Seine Rechte stützte sich auf einen Stock mit silbernem Griff, in der Linken trug er einen Handkoffer. Er war soeben aus einer Droschke gestiegen, ihm folgte in einiger Entfernung eine junge Dame; ihres Gepäcks hatte sich der jüdische Bursche bemächtigt und drängte eilig vorwärts. Dabei stieß er den Herrn mit dem Koffer unsanft in den Rücken.

Ärgerlich drehte sich der Herr um; als er die biegsame Gestalt der jungen Dame erblickte, lüftete er den Hut und ließ ihr den Vortritt auf dem Brettersteg. Sie grüßte leicht und schritt an ihm vorüber. Er folgte.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)