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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

In scharfem Trabe flog der Fuchs vorwärts. Das Rausuppensche Gutsgebäude mit seinem weithin sichtbaren Turm lag bald vor ihm.

Er fand die Familie des Barons Osterloh beim Mittagessen und mußte sein Anliegen hinausschieben, denn er konnte natürlich die Teilnahme nicht ablehnen. Die Baronin, eine rothaarige schöngewachsene Dame mit wundervollen Händen empfing ihn mit freundlicher Zuvorkommenheit. Zwei junge Mädchen, die Töchter des Hauses, in halblangen Kleidern begrüßten Ernst Philippi mit einem schülerhaften Knix.

„Sie finden Elvire und Gerda wohl recht verändert, nicht wahr, Herr Kandidat?“ sagte die Mutter mit wohlgefälligem Lächeln.

Ernst Philippi blickte mit Behagen in die blütenreinen, jungen Gesichter. „Vor zwei Jahren spielten wir noch Blindekuh miteinander“, sagte er lächelnd, „heute sind die jungen Damen schon fast erwachsen.“

„Ich würde aber wieder sehr gern Blindekuh mit Ihnen spielen,“ sagte die Jüngere, „Sie waren ja so leicht zu fangen. Jetzt ist es so traurig, man hört nichts als schreckliche Sachen.“

„Ja, das ist nun mal so!“ sagte Baron Osterloh, eine mächtige breite Reckengestalt mit einem Wallensteinkopf. „Der Größenwahn ist in unser verblendetes Lettenvolk gefahren. Und das Schlimmste ist: die Sache nimmt so bald kein Ende. ,Nationale Erhebung’ nennen sie ihr wahnwitziges Treiben! Ein Volk, das so mit

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/72&oldid=- (Version vom 1.8.2018)