Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/57

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

durch ein herzliches Vertrauen, das sie beschämte. Der Grobheit und Verbissenheit begegnete er mit Spott und ironischer Höflichkeit, die auch die gröbsten Prahler dämpfte und zähmte. An Kranken- und Sterbelagern hörte Ernst Philippi ihn erhebende trostreiche Worte sprechen, die nicht bloß Worte waren, und allmählich und fast unbewußt begann er sich die Möglichkeit einer Berufstätigkeit unter solcher Leitung als etwas Schönes und Erhebendes vorzustellen.

Gerade das lebendige Wirken von Person zu Person begann sein künstlerisches Naturell zu interessieren. Statt als Schauspieler gedachte Gedanken in vollendeter Form zu verkörpern, neue einfache Gedankenreihen zu wecken, zu lenken und im Rohstoff schöpferisch mitzugestalten und so künstlerisch zu prägen – das erfüllte ihn nach und nach mit einem unbezwinglichen Tätigkeitstriebe. So kam es, daß er zuweilen mit eingriff und in seiner Weise die seelsorgerischen Gespräche zwischen Pfarrer und Bauer beeinflußte. Robert Berger schien ihn mit heimlichem Wohlgefallen immer wieder dazu anzuspornen, und eines Tages geschah es Ernst Philippi, daß er wie aus einem Traum erwachte und der Beruf eines Pfarrers keine Schrecknisse mehr für ihn hatte.

Zwar hütete er sich vor sanguinischer Begeisterung – dazu war seine Natur viel zu grüblerisch und gründlich –, aber er begann in aller Stille die neuen Gedanken in sich zu verarbeiten.

Gründlich, wie er war, hatte er es sich auch in den Kopf gesetzt, sich gegen alle Möglichkeiten einer bösen Zeit zu wappnen

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/57&oldid=- (Version vom 1.8.2018)