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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Beide reichten ihm die Hand.

Die Augen des kleinen runden Mannes funkelten listig vor verhaltenem Vergnügen. „Die Kirche in Birkenhof ist diesen Donnerstag am Kronsfeiertag geschändet worden. Den Pastor haben die Sozialdemokraten gezwungen, die rote Fahne in die Hand zu nehmen und dem Zuge voranzugehen. So sind sie vor das Gutshaus gezogen.“

Robert Berger war bleich geworden, er runzelte die Stirn. „Den Pastor gezwungen? Wie war das möglich?“

„Nu, was sollte der Pastor machen? Man will sich doch nicht totschlagen lassen wie einen räudigen Hund. Mit den Roten ist nicht zu spaßen, Herr Pastor, das können Sie glauben.“ Eine schlecht verhehlte Schadenfreude verzerrte die gedunsenen Züge des Küsters.

„Wissen Sie, was ich glaube?“ sprach der Pastor schwer und tönend und reckte seine hohe Gestalt gebietend empor. „Mit dem heiligen Amt eines Pastors ist noch viel weniger zu spaßen. Das ist meine Überzeugung.“

Der kleine Mann sank in sich zusammen und faltete die roten Hände über dem runden Leib. „Nu ja, nu ja,“ sagte er scheinheilig, „es sind eben harte Zeiten.“

„Es gibt Härteres als den Tod. Als Petrus seinen Herrn dreimal verleugnete, wußte er nicht, was er tat. Als er es aber wußte, da hätte er gewiß gern dreifachen Tod erlitten; da ging er hin und weinte bitterlich. Kruhming, behüte uns beide Gott,

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/54&oldid=- (Version vom 1.8.2018)