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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Verhältnisse es war, der dich von vornherein in einen Widerspruch hineinzwängte, der bei freier Entfaltung deiner Persönlichkeit einfach nicht vorhanden gewesen wäre. Die Labyrinthe unsers Ichs sind oft außerordentlich verschlungen.“ – Nach einer gedankenvollen Pause fuhr er fort: „Du hast unbedingt einen künstlerischen Zug in dir; aber hier liegt wiederum die Frage sehr nahe, ob du in unserm schönen Beruf nicht auch ein rechter Künstler zu werden vermöchtest – Redekünstler, Künstler der Psychologie, Künstler in der Seelsorge, vor allem aber Lebenskünstler! Es liegt an der einzelnen Persönlichkeit, ob man seinen Beruf als Amt, Handwerk, Kunst oder Religion auffaßt.“

Ernst Philippi strich sich mit einer nervösen Bewegung über die Stirn. „Ich danke dir,“ sagte er einfach. „Deine Großzügigkeit wünschte ich unsern meisten Pastoren. Es wäre besser um unser Baltenland bestellt.“

„Noch eins,“ warf Robert Berger hin; „darf ich’s Isa sagen?“

„Selbstverständlich. Ich bitte darum.“

Von einer Last befreit ging Ernst Philippi neben seinem Freunde her. Da nahte sich ihnen geschäftig von der Hinterseite des Hauses eine rundliche Gestalt.

„Mein Küster Kruhming,“ sagte Robert Berger. „Guten Morgen, Kruhming. Was bringen Sie mir Gutes?“

„Guten Morgen, Herr Pastor; guten Morgen, Herr Kandidat. Sind Sie wieder hier? Bringe diesmal böse Nachrichten.“

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/53&oldid=- (Version vom 31.7.2018)