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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

spazieren, da hörte ich es in den Büschen zwitschern und lachen. Unser ernstes Fräulein war da mit unsern Kleinen zum Kinde geworden, haschte sich mit ihnen herum, und alle drei waren seelenvergnügt. Übrigens, Robert, weißt du, daß sie griechisch-orthodoxer Konfession ist?“

„So?“ meinte der Pastor erstaunt. „Nun, da ich selbst den Religionsunterricht gebe, macht das ja weiter nichts, wußtest du etwas davon, Ernst?“

„Fräulein Schenkendorff hat mir gestern davon gesprochen. Übrigens schließe ich mich Ihrem Urteil durchaus an, gnädige Frau. Fräulein Schenkendorff hat auf mich in den wenigen Stunden unsers Zusammenseins einen vortrefflichen Eindruck ge­macht, sie ist eine ebenso stolze wie zurückhaltende Natur.“

„Das wußte ich, Robert,“ jauchzte Isa Berger, „das wußte ich in dem Augenblick, als ich ihr in die Augen sah!“

„Meine Frau ist nämlich ein großer Hellseher, mußt du wissen,“ neckte der Pastor. „Wehe dem, gegen den sie eine Anti­pathie hat; an dem gibt’s sicher einen faulen Fleck.“

„Und mein Mann ist ein großer ‚Seelensorger‘, wie unser Küster Kruhming sagt. Wehe dem, an dem er keinen faulen Fleck zum Behandeln findet, der hat schon das halbe Interesse für ihn verloren!“

Die Freunde lachten, griffen nach Hüten und Mänteln und schritten in den großen Obstgarten hinaus. Es war ein kühler Septembertag. Welk und verschrumpft zitterte das zerzauste Laub

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/50&oldid=- (Version vom 31.7.2018)