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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

oder weltmännischen Gelehrten halten können als für einen Landgeistlichen.

Ein ungewöhnliches, sympathisches Ehepaar! schloß Claire ihre Beobachtungen. Ich glaube, ich werde mich hier heimisch fühlen.

Die Herren vertieften sich in ein eifriges Gespräch über die politische Lage des Landes. Interessiert folgte die Pastorin ihren Auseinandersetzungen und warf hier und da ein verständnisvolles Wort dazwischen. Ein Blick auf Claires blasses abgespanntes Gesicht bewog sie jedoch, die Tafel aufzuheben. Liebenswürdig sagte sie: „Die Herren mögen noch beim Glase Bier weiter politisieren, ich zeige Ihnen indessen Ihr Zimmer, Fräulein Schenkendorff. Sie sehen müde aus und wollen gewiß zu Bett.“ Sie schob Claires Hand in ihren Arm und führte sie durch den Saal und das Vorzimmer auf die andre Hausseite. „Ich muß Ihnen noch besonders dafür danken, liebes Fräulein,“ sagte sie herzlich, „daß Sie sich trotz der unruhigen und gefährlichen Zeiten entschlossen haben, zu uns aufs Land zu kommen. Uns speziell, hoffe ich, droht keine ernste Gefahr, mein Mann ist beim Landvolk allgemein beliebt, aber ernst genug sieht es rings um uns her aus. Das läßt sich nicht leugnen. Morgen machen wir noch Feiertag, Sie müssen zuvor Ihre Schulkinder als kleine werdende Menschen ein wenig kennen lernen. Ich habe Ver­trauen zu Ihnen und hoffe, wir werden gute Freunde.“

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/47&oldid=- (Version vom 31.7.2018)