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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

„Ja, Isa ist wieder fleißig gewesen,“ sagte der Pastor stolz. „Der eine exzelliert im Brotbacken, der andre malt, jeder wie er kann. Das Brotbacken wird aber hierzulande mehr geschätzt.“

Ein drolliger Blick Ernst Philippis suchte Claire. „Fast wörtlich ebenso haben wir heute von deiner Frau Gemahlin reden hören.“

„Ach, wirklich?“ rief die Pastorin amüsiert. „Erzählen Sie doch!“

Ernst Philippi erzählte mit Behagen. Das Ehepaar sah sich glücklich und liebevoll an. Hier herrschte vollste Harmonie, das fühlte man. Man hatte sich um den ovalen Eßtisch gesetzt. Von einem rundlichen blonden Landmädchen wurde die warme Speise herumgereicht.

„Zum Schluß wäre unsre Fahrt beinahe tragisch verlaufen,“ erzählte Ernst Philippi, „dramatisch war sie jedenfalls. Dein Kutscher Granting ist noch glücklich einem Steinwurf entgangen.“

„Wo? Wie war das?“ fragte der Pastor lebhaft.

Ernst Philippi berichtete ausführlich, und Claire hatte Muße, den Pastor zu betrachten.

Sein bedeutender wohlwollender Kopf war von kurzem ergrauendem Haar gekrönt, das er sorgfältig gebürstet aufwärts trug. Ein paar kurzsichtige dunkelblaue Augen blickten scharf und freundlich durch eine goldene Brille. Ein mühselig gezogener Stoppelbart, der den nervösen Mund kaum beschattete, bedeckte die untere Gesichtshälfte. Man hätte ihn eher für einen Aristokraten

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/46&oldid=- (Version vom 31.7.2018)