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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Er drückte ihre Hände. „Ist das dieselbe Claire,“ fragte er staunend, „die mit dem wohlerzogenen Lächeln einer konventionellen jungen Dame Tante Griseldis um ihre Meinung be­fragen konnte?“

Sie lachte hell auf. „O,“ sagte sie, „ich bin eine verschlossene Natur, wie eine Schmetterlingspuppe stecke ich in Ge­spinsten und Hüllen, und erst nach und nach wagt sich meine Seele scheu und frierend ans helle Sonnenlicht.“

„Claire,“ bat er zärtlich, „wir sind gleich da; sagen Sie mir ein gutes Wort. Was meinen Sie mit dem Sonnenlicht?“

Da wandte sie sich zu ihm und flüsterte kaum hörbar: „Deine Liebe!“

Der Wagen war aus dem Waldesdunkel in eine freie Lichtung gerollt. Durch eine Allee junger Lindenbäume zwischen Stoppelfeldern führte der Weg zum Pastorat. Die Silhouette einer uralten halbentblätterten Linde mit einem Storchennest hob sich dunkel gegen den sternbesäten Himmel.

Granting knallte mit der Peitsche. In eleganter Kurve bogen die Füchse um ein von Akaziengebüsch umhegtes Rasenrund. Der Wagen hielt vor der Haustreppe.

Mit einem Windlicht in der Hand trat die hohe biegsame Gestalt eines Mannes vor die Tür. Ein paar Kinder in kurzen Kleidern schoben sich an ihm vorüber.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/43&oldid=- (Version vom 1.8.2018)