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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

verkehrt. Da hieß es niemals: Wer oder was war Ihr Vater? Hier aber in den Ostseeprovinzen ruhen die Leute nicht eher, als bis sie Sie um ihr Pedigree befragt haben, die Persön­lichkeit genügt ihnen nicht; und haben sie das festgestellt, dann richten sie ihr Benehmen danach ein. Das ist doch empörend, und die Russen sind darin viel großzügiger, viel menschlicher, möchte ich sagen.“

„Sie vergessen, daß wir Balten allesamt Kleinstädter sind. Eine gewisse konservative Engherzigkeit liegt in dem Wesen des Kleinstädters.“

„Es gibt auch russische Kleinstädter.“

„Nun, die sind auch danach! Übrigens bin ich weit entfernt, die Fehler der Balten zu leugnen,“

„Das freut mich!“ rief Claire mit glänzenden Augen. „Sehen Sie, in meiner vorigen Stellung – es war bei einem kurländischen Baron bei Libau – sah ich einen gebildeten jungen Mann, einen Letten, wieder, den ich bei meinen russischen Freunden auf dem Lande getroffen hatte. Er war Verwalter und ein sehr tüchtiger Mensch. Wie höflich und rücksichtsvoll behandelten ihn die Russen, wie hochmütig und von oben herab die deutsche aristokratische Familie! So etwas muß doch er­bittern. Man sprach von ihm nicht anders als „der Kerl“ oder „der Bauernjunge“, während die russische Familie ihn in seiner Abwesenheit immer höflich Peter Petrowitsch nannte.“

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/32&oldid=- (Version vom 1.8.2018)