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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Die Dame starrte ihn entgeistert an, ihr Mund öffnete sich weit vor Schreck. „Ihre Cousine ...? Die Frau Pastorin Berger Ihre Cousine, mein Herr?“ stotterte sie. „Wai, ich will ja nichts gesagt haben – der eine hat diese, der andre jene Ge­schmacksrichtung, nicht wahr? Der eine liebt zu wirtschaften, der andre mag eben schriftstellern – wie ein jeder kann.“ Sie warf beleidigt die Lippen auf und wandte sich angelegentlich ihrem schüchternen Nachbar zu.

Philippi war aufgestanden und zu Fräulein Schenkendorff getreten. „Dort, jenes massive dunkle Gebäude ist der Annenburgsche Krug,“ sagte er. „Ob uns das Leben jemals wieder zusammenführt, gnädiges Fräulein?“

Scheu blickte sie ihn an. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, möchten Sie die Befriedigung finden, die Sie das Verfehlte Ihres Lebens vergessen macht!“ sprach sie leise.

„Das ist ein guter Wunsch, mein Fräulein!“ sagte er warm. „Ich meinerseits wünsche Ihnen, daß Sie sich in Ihrer neuen Stellung so wohl fühlen, daß Sie Ihre Zukunftsträume im Katharineninstitut vergessen.“

„Das werde ich nie!“ rief sie kampfbereit. „Was bleibt mir denn besseres übrig?“ fügte sie resigniert hinzu.

„Also, ich wünsche Ihnen das Bessere,“ sagte er bedeutungsvoll und schüttelte kräftig die kleine Hand.

Sie standen noch eine Weile nebeneinander. Schrill und verdrießlich verkündete die Dampfpfeife, daß das Endziel erreicht

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)