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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Wolf begleiten wollen auf seinem Gange, aber ein plötzliches Unwohlsein hatte ihn daran verhindert. Die Blutspuren, die Darthe noch gesehen hatte, waren vertilgt und verschwunden. So blieb die Tat in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllt, aber an dem Morde selbst zweifelte niemand.

Von der Seelennot des alten Herrn drang die trübe Kunde direkt zu Darthe Semmit. Mauschen, die Darthe ebenfalls mit Näharbeit versorgte, hatte sich schluchzend darüber ausgesprochen. Dennoch konnte Darthe schweigen.

Ja, Darthe konnte schweigen, und sie schwieg. Das Furchtbare, das sie allein gesehen hatte, lag wie ein drückender Alp auf ihr und hatte ihr Inneres von Grund auf zerwühlt und zerrissen. Fräulein Marga – das war ihr Hauptgedanke bei Tag und bei Nacht. Fräulein Marga war ein Leid geschehen. Und Grendsche-Jehkab, ihr früherer Verlobter, war der Mörder. Sie wurde stumpf und dumpf; mühselig rannen ihre Tage dahin.

Der folgende Sonntag brachte eine völlig gefüllte Kirche. Die Leute kamen aus Neugier – was würde der alte Pastor diesmal zu sagen haben?

Darthe saß auf einer der hintersten Bänke. Weit vorne sah sie Grendsche-Jehkab, und auf der Frauenseite die Zehsewirtstochter sitzen, neben ihr Mauschen und die Frau Pastor, und dort – rechts von der Pastorin – Darthe setzte der Herzschlag aus – sah sie das rotblonde schimmernde Haupt der Baroneß Marga!

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/267&oldid=- (Version vom 1.8.2018)