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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

wie gehetzt, und wieder blieb sie stehen wie angewurzelt. Sie sah Fußspuren, aufgewühlte Erde – und da – Blut ... ja Blut!

Kalt rieselte es ihr über den Rücken. Sie blickte mit großen leeren Augen um sich und sah einen Mann in hastigem Lauf quer über die Wiese stolpern. Sie sah ihn von rückwärts und erkannte – – Grendsche-Jehkab! – –

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich eine unheimliche seltsame Kunde durch das Land: der junge Majoratsherr Baron Wolf von Wolfshausen war ermordet worden. Niemand war der Tat auf der Spur, niemand hatte seine Leiche gefunden, und dennoch glaubte niemand an ein Verunglücken, an eine plötzliche Abreise oder sonst einen Grund, der sein Verschwinden erklärt hätte. Wie grinsende Fratzen aus dunklen Ecken tauchten mit der gleichen dringlichen Hartnäckigkeit die gleichen Gerüchte immer wieder auf: Baron Wolf war ermordet worden. Nur über dem „Wie“ schwebte ein phantastisches Dunkel. Und überall herrschte eine lauernde Spannung, die sich in manchen Gehöften zu offenkun­diger Schadenfreude steigerte. Die Tat wurde jubelnd gepriesen. Sie war das Befreiungssignal für die aufrührerischen Elemente. Sie war der zündende Blitz in der drohenden Gewitterschwüle, – sie war die erste tödliche Kugel in das feindliche Lager. Die Spannung wuchs. Selbst friedliche Leute, die sich von dem allgemeinen Aufruhr abseits hielten, hatten sich in gierige Maulwürfe verwandelt. Uberall suchte man in fieberhaftem Eifer nach den Spuren des Verschollenen.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/265&oldid=- (Version vom 31.7.2018)