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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

und er hatte ihr auch etwas zu sagen. Du tust recht, du tust recht, rauschten und murmelten die dunklen Wellen, die an ihr vorüberwirbelten.

Sie blieb stehen und schöpfte tief Atem. Ihre Kindertage fielen ihr ein und die Märchen der toten Großmutter. Es waren doch schöne stille Zeiten gewesen, als sie den kleinen Bruder Jahnit wiegen mußte, schöne stille Zeiten. Der Jahnit war nun schon ein großer Bursch und ging drüben bei Bauske in die Tischlerlehre. Der hatte sie nicht mehr nötig und die Großmutter auch nicht. Wer hatte sie denn eigentlich nötig? Der Vater ... die Mutter, – Grendsche Jehkab?

Sie schüttelte düster den Kopf. Vater und Mutter, die hatten einen Sohn und gingen ihre eigenen Wege, wie sie selbst ihre eigenen Wege ging, – sie hatten sie nicht nötig, und Grendsche-Jehkab? Ging er nicht auch eigene Wege? Lief er nicht jedem hübschen Mädchen und jedem Rockzipfel nach? War er treu? War er zuverlässig? Konnte sie ihm trauen?

Wieder schüttelte sie den Kopf. Sie kannte ihn zu wenig. Aber heute, ja heute würde jemand sie nötig haben – Baroneß Marga. Sie schritt hastig vorwärts, und wieder versank sie in Erinnerung. Wie war das damals gewesen, als die Baroneß Marga ins Wasser gefallen war? Wie hatte es in der dunklen Stube geleuchtet, als die helle nasse Gestalt mit dem rotgoldenen Haar hereintrat! Und wie vernarrt waren die beiden, der junge Baron und Grendsche-Jehkab, in das schöne Mädchen gewesen!

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/247&oldid=- (Version vom 31.7.2018)