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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Eine Schaufel klirrte gegen morsches Gebein.

„Zurück!“ donnerte der Professor, „Sie, junger Mann,“ zu Grendsche-Jehkab, „und ich, wir wollen den Rest selbst besorgen, Sie haben eine leichte Hand!“

Sie standen in der Grube. Die Erde flog in kleinen Häufchen heraus – entblößt lag das gelbe morsche Gerippe vor ihnen.

„Mittelgroße Rasse,“ murmelte der Professor, „feinknochig, muß von fürstlicher Abstammung gewesen sein!“

Mit zitternden Fingern strich er die Erde vom Armknochen zurück.

„Hm – eine bronzene Armspange – dacht ich’s mir doch – – eine Brustplatte. –“ Mit liebkosendem Griff streifte er die Spange ab und löste das Brustschild. „Fräulein Mathilde!“ rief er spähend, „wo sind Sie?“

Mäuschen war zur Stelle und breitete ein schneeweißes Taschentüchlein auf den Rasen. „Geben Sie her!“ rief sie.

Er reichte ihr die mit Grünspan überzogenen Gegenstände.

„Vorsichtig!“ flüsterte er heiser. „Ritzen Sie sich ja die Finger nicht!“

Dann bückte er sich wieder nach dem Schädel und hob ihn behutsam heraus.

Ein dumpfes Murmeln flog durch die Versammlung. Tastend gingen seine Finger an den Fingergliedern des Gerippes auf und nieder. Er zog einen breitgedrückten Ring von der Knochenhand und löste sie aus der Erde.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/227&oldid=- (Version vom 31.7.2018)