Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit | |
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Mit lüsternen Augen waren die lettischen Bauern dem Vorgang gefolgt. Eine beutegierige Horde stürzten sich Burschen, Weiber und Kinder der zerbrochenen Nadel nach und wühlten und suchten im Grase.
Marga warf den stolzen Kopf zurück. „Das da sind unsere Feinde!“ sprach sie mit bitterm Lächeln. „Gegen Raubtiere, nicht Menschen sollen wir kämpfen! Der einzige Mensch in dieser Gesellschaft mit einer menschlichen Seele – ist die kleine wilde Schönheit. Schade um sie!“ Sie seufzte.
Grendsche-Jehkab hatte eine Pause gemacht. Seine Augen funkelten. Leise schlich er zu Darthe heran, die versunken dastand.
„Mädchen,“ sagte er und faßte sie rauh beim Arm – „bist du toll? Weißt du, daß die Nadel da mindestens fünfzig Rubel wert war?“
Sie schrak auf. „Laß mich!“ rief sie zornig, „was geht das dich an?“
„Bist du so reich,“ fragte er höhnisch, „daß du Gold und Edelsteine verschmähst? Darthe Semmit, ei, ei, –“ seine Augen glitten blinzelnd an ihrer schlanken Gestalt nieder, – „du tust ja so stolz, als wenn du ’ne Baroneß wärst.“
Sie wies auf den wühlenden Haufen.
„Besser ’ne Baroneß, als ein wühlendes Schwein!“ sagte sie kurz.
Der Dumpje-Wirt hatte den Edelstein gefunden und verbarg
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/225&oldid=- (Version vom 1.8.2018)