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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

hier hauste, zu deinem Vater sagte: Höre, Semmit, wir waren vor euch hier, uns gehört deine Hütte, – würdet ihr sie ihnen geben?“

Darthe schwieg. „Nein!“ sagte sie nach langem Zögern.

Baroneß Marga sah sie mit leuchtendem Blick an.

„Du bist ein ehrlicher Mensch, Darthe,“ sprach sie gütig, „und ein gerechtes Mädchen. Nun sieh, – in diesen Gräbern hier sollen einige des Volkes ruhn, die vor euch Herren im Lande waren. Alle werden wir einst in Gräbern ruhen, Hoch und Gering. Soll man sich darum hassen und befehden?“

„Man soll miteinander kämpfen um sein Recht!“ stieß Darthe wieder ungestüm hervor.

„Das ist ein ehrliches Wort, wenn auch traurig genug,“ sprach Baroneß Marga wieder – „nun, sei versichert, wir wollen und werden kämpfen und für unser angestammtes Recht einstehen, solange wir können! – Kommen Sie, Baron Wolf.“ Sie nahm seinen Arm.

Widerstreitende Gefühle, Haß, Achtung, Bewunderung und etwas wie Liebe tobten in Darthens Brust. Mit zitternden Fingern löste sie die Nadel von ihrem Kleide.

„Bitte nehmen Sie!“ sagte sie flehend, und ihre Lippen zuckten. „Sie hasse ich nicht, aber sie sind ein Herrenkind, und ich eine Knechtstochter.“

Zögernd nahm Marga die Nadel zurück. „Sie hat keinen Wert mehr für mich!“ sagte sie traurig. Sie zerbrach sie und warf die flimmernden Stücke weit in die Wiese hinein.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/224&oldid=- (Version vom 31.7.2018)