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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Marktplatz und einen großen Kirchhof und viele Buden. Neulich hatte die Mutter den neuen Sonntagsstaat aus Bauske geholt – dunkelblauen Kattun und ein süßes Pfefferkuchenherz für Darthe. Sehnsüchtig blickte die Kleine den treibenden Holzspänen nach. Ob sie so schnell laufen konnte? O und wie! Eilig begann sie am Uferrande mit den nackten braunen Füßchen zu laufen, – ach der dumme Weidenbusch stand ihr im Wege, hastig umkreiste sie ihn und blieb atemlos am Ufer stehen. Sie sah ihren Holzspahn nicht mehr. War er untergegangen? War er weiter fortgeschwommen? Sie hatte ihn verloren. Rasch entschlossen warf sie einen größeren trockenen Ast ins Wasser, nein, den würde sie nicht aus den Augen lassen, und geschäftig lief sie vorwärts, dem Flußufer entlang, – da blieb sie wie angewurzelt stehen.

Sie hörte Stimmen, und hinter dem Ufergestrüpp tauchten zwei herrschaftlich gekleidete Knaben in Matrosenanzügen auf, neben ihnen ein Häuslerssohn, der Grendsche-Jehkab. Alle mochten sie zwölf Jahre zählen. Sie kannte die drei. Der eine breitschultrige blonde Junge mit dem gutmütigen Gesicht, das war Pastors Willi, der andere mit den glänzenden Schnürstiefeln und der schlanken hochaufgeschossenen Gestalt war das Jungherrchen, der kleine Baron. Der dritte aber, der Grendsche-Jehkab war eigentlich der hübscheste von allen. Er war barfuß und trug eine junge Dohle im Arm.

„Schenk mir die Dohle, Willy!“ hörte sie das Jungherrchen sagen.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/195&oldid=- (Version vom 1.8.2018)