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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Regenvogel immer ängstlich und klagend vor dem Regen und läuft hin und her im Grase und hat keine Rast noch Ruhe.

Ja, siehst du, so geht’s, wenn man trotzig ist, und nun spring schnell an den Fluß, Darthing, und spiel ein wenig, aber ja nicht zu lange, hörst du wohl, und reich mir die Milchflasche für den Jahnit her, damit ich sie ihm geben kann, wenn er aufwacht.“

Die Kleine ließ sich das nicht zweimal sagen und war wie der Blitz zur Tür hinaus. Mit einem schrillen Schrei des Entzückens lief sie durch den kärglichen Gemüsegarten, breitete die Arme aus und hob und senkte sie wie ein Vogel seine Flügel. Geschmeidig wie ein Kätzchen wand sie sich durch die Zaunlücke und stand jetzt vor dem grünen Abhange, der schräg zum Flusse führte. Nun warf sie sich jauchzend ins Gras und rollte wie eine reife Frucht geradeswegs zum Fluß hinunter. Die braunen Füße stemmten sich fest gegen den Boden, die kleinen Hände griffen hastig ringsum nach einem Halt und krampften sich an Grasbüscheln und Wacholdersträuchen fest; mit weit offenen verwunderten Augen fand sie sich auf dem feuchten Ufer sitzen und lachte laut und fröhlich.

Sie sah in den blinkenden Fluß hinein. Mit leisem murmelndem Rauschen strömte er unablässig und ruhig zwischen den grünen Wiesen dahin. Sehnsüchtig bog sich grüngraues Weidengefieder zu ihm hinab, und seine kleinen Wellen umhüpften

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/193&oldid=- (Version vom 1.8.2018)