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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

„Wart, wart ... sei nicht hochmütig, du dummes Kind, sonst geht’s dir wie dem Buttchen und du kriegst ein schiefes Maul.“

„Welchem Buttchen?“ fragte die Kleine – ihre schwarzen Augen funkelten gespannt.

„Das ist eine alte Geschichte,“ stöhnte die Großmutter, „eine alte schöne Geschichte. Als der liebe Herrgott die Welt erschaffen hatte und sich sein Werk besah, da ging er an dem großen Wasser spazieren und war recht von Herzen froh. Im Sande aber lag eine Butte und sonnte sich. ,Was tust du denn hier in der Sonne, liebes Buttchen?’ fragte der Herrgott so recht freundlich. Und die Butte, dies unverschämte Vieh – zieht ihr Maul schief, blinzelt zum Herrgott empor und wiederholt höhnisch: ,Was tust du denn hier, liebes Buttchen?’ Da wurde der Herrgott zornig und sprach: ,Du hast mich gehöhnt – darum sollst du von nun an dein schiefes Maul behalten und auf der einen Seite sollst du rauh und grantig bleiben’ – Und seitdem hat die Butte ein schiefes Maul – und rauh ist sie auch, aber nur auf der einen Seite, auf der sie im Sande lag. Ja, ja – so geht’s, wenn man hochmütig ist!

Und das ist die Wahrheit – hast du nicht gesehen, wie rauh die Butten auf der einen Seite sind?“

Die kleine Darthe seufzte tief auf. „Ja!“ sprach sie über­zeugt. „Erzähl noch was, Großmutter!“

„Hast du den Jahnit geschlagen? Antworte zuerst, Mädchen,- hernach erzähl’ ich dir eine viel schönere Geschichte – vom

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/190&oldid=- (Version vom 1.8.2018)