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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

und Befehlen und übersah eine sehr naheliegende Gefahr: er hatte es versäumt die Telephonleitung vom Schloß nach der nahen Stadt Goldingen zu zerstören.

Herr von Röhren hatte um dringende militärische Hilfe telephonieren können, und am anderen Morgen rückten Dragoner in mehreren Abteilungen von verschiedenen Seiten in den Flecken. Um das Polizeigebäude tobte ein blutiger Straßenkampf, Flintenschüsse knatterten, Kommandorufe schallten durch die Dämmerung – die anarchistische Bande wurde gefangen genommen bis auf einen Mann und dieser Mann war Vater Nikiphor.

In der Verkleidung eines lettischen Bauern hielt sich der Pope regungslos unter der Flußbrücke verborgen. Als die Nacht hereinbrach, schlich er hinter der Schmiede über den Bergrücken. So entkam er. – Stepan Nikolaitsch war endlich aus einem langen traumlosen Schlaf der Erschöpfung erwacht. Verwirrt schlug er die Augen auf und versuchte vergebens die gefesselten Glieder zu rühren. Mit dumpfer angstvoller Deutlichkeit trat das Geschehene wieder vor sein Bewußtsein, und er verfiel in einen seltsamen halbwachen Traumzustand.

Er sah ein breites graues wogendes Meer, von lichten weißen Sandbänken eingefaßt, dem Ufer entlang einen Friedhof, eine endlose Reihe von Gräbern; und er vernahm einen schaurig klagenden Totengesang. Mönche mit bleichen hageren Gesichtern und wallenden schwarzen Kutten wandeln in düsteren Reihen hintereinander her und tragen flammende Kerzen, und über dem

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/180&oldid=- (Version vom 31.7.2018)