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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

höhnte er. „Die Knochen im Leibe schlag ich Dir entzwei!“

Mit einem lauernden Blick sah er sich in der Stube um, riß den Schlüssel aus der Tür, verschloß sie sorgfältig von außen und polterte die Treppe hinunter.

Eine Stunde oder zwei lag der Gefesselte still und regungslos, die Augen mit gequältem Blick zur Decke gerichtet. Allmählich löste sich die Spannung in seinen Zügen, ein friedlicher Ausdruck trat darauf, müde senkten sich die geröteten Augenlider und wie ein Kind schlief Stepan Nikolaitsch, der Mörder unter fremdem Willen, leise und sanft ein. – –

Im Flecken war eine ungeheure Erregung ausgebrochen. Man hatte die Leiche des Barons gefunden. Für die Anarchisten war dieser Mord gleichsam das Signal zu offenem Ausbruch. Sie stürmten das Polizeigebäude, die Post und das Telegraphenamt unter der Leitung Vater Nikiphors und sie fesselten die Beamten. Sie durchschnitten die Telegraphendrähte, damit keine militärische Hilfe requiriert werden könne. Sie zogen in einzelnen Scharen mit wehender roter Fahne und revolutionäre Lieder singend durch den Flecken und versetzten die zitternde Bevölkerung in eine lähmende Panik.

Einen Nachmittag waren sie die Herren im Ort und Vater Nikiphor sah tatsächlich seinen wilden Traum erfüllt: er hatte die Macht, die seine zügellose Herrschsucht sich ersehnt und er war trunken in seinem Machtgefühl. Seine endlich erlangte Herrschaft machte ihn kurzsichtig und blind. Er schwelgte in Anordnungen

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/179&oldid=- (Version vom 31.7.2018)