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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

freiherrliches Opfer fallen. Teuflische Bosheit malte es sich mit Behagen aus, daß gerade der harmloseste und unschuldigste Mensch Stepan Nikolaitsch die Bluttat vollbringen solle. Das Wie war ihm allerdings noch nicht klar.

Mittlerweile hielt der Pope ungehindert glühende Brandreden in geheimen Versammlungen. Er entfachte die Instinkte des Volkes zu wilder Wut. Er hatte den verwegenen Plan gefaßt, den ganzen Flecken an der Spitze einer anarchistischen Bande zu überrumpeln und so endlich zu dem ersehnten Ziel zu gelangen, das seine Herrschsucht ihm wies.

Matriona Fadejewna mochte etwas von den Umtrieben des Popen vernommen haben, denn sie fuhr immer ängstlich zusammen, wenn sie seinen dröhnenden Schritt vernahm, und saß ihm scheu und stumm gegenüber, wenn er zu ihr herein kam. Eine gewisse Wahlverwandtschaft zog sie zu dem Volksschullehrer hin und mehr als einmal raunte sie ihm flüsternd auf Flur und Treppe zu: „Nehmen Sie sich vor dem Vater Nikiphor in Acht – er ist ein schrecklicher Mensch!“ Dann bekreuzigte sie sich und murmelte ein Gebet.

Ein klarer frostiger Winterabend lag über dem Flecken und wieder machte sich der Lehrer zu seinem einsamen Gange auf. Schon längst war das Rauschen des Flüßchens verstummt; auf seiner beeisten Fläche tummelte sich die Schuljugend. Jetzt war alles still und hastig stapfte der kleine Mann über den knirschenden Schnee. Vom klaren Himmel nieder funkelten milde traurige

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/168&oldid=- (Version vom 17.8.2020)