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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Er sah nicht hin und eine neue fiebernde Unruhe jagte qualvoll durch seine Glieder.

„Wie ein Bettler am Wegrande!“ stieß er dumpf und laut hervor. „Ja, wie ein armseliger Bettler!“

Ein brennendes Mitleid mit sich selbst jagte ihm heiße Tränen in die Augen. Hastig wischte er sie fort und lauschte. Klang das nicht wie fernes Räderrollen? „Ja, ja – sie ist’s! Endlich!“ Horchend blieb er stehen und neigte den Kopf. Das Räderrollen kam näher – in ungestümen wilden Schlägen hämmerte sein Herz. Er preßte die Hände zusammen, als rängen sie miteinander in stillem wütendem Kampf. Kalter Schweiß feuchtete seine Stirn. Mit knarrendem Gepolter kams näher und näher – – es war ein Bauernwagen! Eine trunkene Gestalt taumelte darin hin und her und mit unbarmherzigen Schlägen hieb sie ein auf das armselige struppige Pferdchen.

Stepan Nikolaitsch hüllte sich fest in seinen Mantel. Eine entsetzliche Übelkeit stieg in ihm auf. Blaß und verzerrt stand plötzlich das Gesicht seines Freundes vor ihm. „Ich hab mein Schulgeld verspielt, alles bis auf die letzte Kopeke, morgen werd ich aus dem Seminar gejagt und dann schieß ich mir eine Kugel durch den Kopf!“ – – Eine Kugel durch den Kopf, eine Kugel durch den Kopf – raunte es unablässig in ihm weiter. Selig sind die Toten – und das Leben ist Qual, Tod aber ist Erlösung – zuckte es ihm wie ein Blitz durch den Sinn, und

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/164&oldid=- (Version vom 1.8.2018)