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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

will. Also der Baron war heute vormittag bei mir“, wiederholte sie mit Behagen, „und klagte mir seine Not. Denken Sie bloß, die Mutter der Falkenfels’schen Gouvernante ist schwer erkrankt und Fräulein Schneider reist Hals über Kopf ab. Nun ist ein Ersatz notwendig und da habe ich mir erlaubt, dem Baron Fräulein Wally vorzuschlagen.“

Sie klopfte Frau Schulz mit dem zusammengeklappten Lorgnon leicht auf die Hand, lehnte sich ins Sofa zurück, blinzelte triumphierend und fragte: „Nun, was sagen Sie denn dazu?“

„Aber – das ist ja einfach großartig! – Wally, hörst Du, Du kannst die Stelle beim Baron bekommen!“

Wally machte große Augen. „So?“ sagte sie neugierig.

„Jawohl, den Unterricht am Vormittag besorgt der Hauslehrer, Herr von Röhren, – Sie wären also nur für die Nachhilfestunden nötig für die kleinen Baronessen, – täglich von eins bis sieben. Diner im Schloß – denken Sie bloß, und vierzig Rubel monatlich.“

„Ja, ganz schön“, sagte Fräulein Wally nachdenklich – „was wird denn nun aber aus meinem deutschen Unterricht mit Stepan Nikolaitsch?“

Frau Doktor Treller zog die Augenbrauen hoch. „Ja, das schlagen Sie sich nur ganz aus dem Sinn, zweien Herren kann man nicht dienen, Liebe“, sagte sie in beleidigtem Ton. „Uberhaupt“ – sie neigte sich zu Frau Schulz hinüber und flüsterte: „Ich finde die Sache, unter uns gesagt, nicht ganz passend – ein

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/152&oldid=- (Version vom 1.8.2018)