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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

so empfand sie seine Besuche ganz besonders unangenehm, denn vor ihren Augen verzehrte Vater Nikiphor in seiner Unverfrorenheit mächtige Portionen des rohen Gemüses und keine Stunde war sie vor seinem Eindringen sicher.

„Ach du grundbarmherzige Güte!“ klagte sie dann wohl ihrem Manne. „Ich muß ja alles im Hause vor dem Hamster, Vater Nikiphor, verbergen und verstecken. Einen Magen hat er wie ein Pferd und gerade das Beste weiß er immer für sich zu ergattern! Gott, ist das ein Kreuz!“

Kusmitsch, der Psalmensänger, ein kleines vertrocknetes Männchen mit einem Fuchsgesicht und einer rosenroten Schnapsnase, zwinkerte dazu listig mit den trüben Äuglein und sagte: „Ja, ja, er ist ein gefährlicher Mensch, – darum muß man sich gut mit ihm stehen, Matrioscha.“

Nach besten Kräften versuchte die brave Frau sich gut mit dem Popen zu stehen, aber es wurde ihr sauer und kam nicht von Herzen.

„Unser Stepan Nikolaitsch läuft jetzt all Augenblick zu den Deutschen!“ wetterte Vater Nikiphor verdrossen, als er ihn wieder einmal vergeblich gesucht hatte. „Deutsch lernen – das ist jetzt seine Passion. Ich aber sage Ihnen, Matriona Fadejewna – das sind alles Dummheiten. Verliebt ist er, wie so ein junger Täuberich – in die schöne Wally. Daraus aber wird nichts!“

Er griff in den Korb mit unreifen Stachelbeeren, die Matriona Fadejewna zum Einmachen reinigte, und biß knackend eine Beere um die andere auf.

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/139&oldid=- (Version vom 31.7.2018)