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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Zungen sehr unbequem ist, lasse ich mich von meinen russischen Bekannten in Libau Wally Iwanowna nennen. Und wie ist Ihr Name?“

„Ganz leicht und bequem auch für deutsche Zungen“, lächelte der Volksschullehrer – „Stepan Nikolaitsch. Sie haben viele russische Bekannte, Wally Iwanowa?“

„Eine Menge. Hier freilich, in diesem trübseligen Nest fehlt es uns ganz an Bekanntschaften. Das find ich höchst langweilig!“

„Sie sprechen ein erstaunlich gutes Russisch für eine Deutsche!“

Sie lachte vergnügt. „O das ist kein Wunder, – ich habe ja das russische Mädchengymnasium in Libau absolviert, außerdem war meine Großmutter väterlicherseits Russin. Da sie zu Zeiten Kaisers Alexander des Zweiten ohne Reversal heiratete, konnten ihre Nachkommen lutherisch sein. Wir sind alle Protestanten.“

„Auf die Konfession kommt es ja nicht an“, sprach Stepan Nikolaitsch in der Absicht etwas Bedeutendes zu sagen.

Die dunklen Augen der jungen Dame funkelten. „So? Sind Sie wirklich so freisinnig? Das setzt mich in Erstaunen. Ich hielt Sie für einen ausgesprochenen Orthodoxen. Sind Sie nicht mit dem russischen Geistlichen befreundet?“

„Ich war niemals mit Vater Nikiphor befreundet“, sagte Stepan Nikolaitsch mit Nachdruck.

„Man sieht Sie aber doch häufig zusammen gehen.“

Er zuckte die Achseln. „Ja was wollen Sie, Wally Iwanowna – wenn man unter lauter Fremden sozusagen aufeinander

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/131&oldid=- (Version vom 1.8.2018)