Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit | |
|
er halten, besser wie der Advokat selber, und in die Katiuscha verliebte er sich sterblich. Ich war damals auf dem Lande in meiner Schule, – da hörte ich, daß er nach Sibirien verschickt worden sei. Solch ein Mensch nach Sibirien verschickt – stellen Sie sich vor! Man hatte verbotene Schriften bei ihm gefunden, und eins, zwei, drei packt man ihn auf und zieht ihm die gelben Stiefeln an!“
Schmerzlich starrte der junge Mann vor sich nieder.
„Ja, ja,“ sagte Matriona Fadejewna bedeutsam „ins kalte Land, dahin kommt unsereins schnell genug. Gott bewahre uns!“ Sie schlug ein Kreuz und fragte nach einer Pause: „Und haben Sie seitdem von ihm gehört?“
„Kein Sterbenswörtchen. Und darum sehen Sie, liegt es mir wie ein Stein auf dem Herzen! Ich kann mir’s nicht von der Seele reden, was mich drückt. Sind wir denn nicht auch wie in der Verbannung hier unter diesen fremden Völkern?“
„Ja, ja,“ ... nickte Matriona Fadejewna trübselig – „ja, ... ja, ja. Der Vater Nikiphor, sehen Sie, der ist aus anderem Holze geschnitzt. Der lebt durch den Haß. Wie ein Feuer brennt der Haß in ihm fort und erhält ihn bei Kraft und Gesundheit, aber Traurigkeit frißt Einem an der Seele wie ein Wurm und macht schwach und hinfällig. Stepan Nikolaitsch –“ sie beugte sich über den Tisch zu ihm vor und flüsterte: „Nehmen Sie sich vor Vater Nikiphor in Acht – er ist kein guter Mensch. Er tragt böse Gedanken mit sich umher.“
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/128&oldid=- (Version vom 31.7.2018)