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Fragmente aus dem Tagebuche eines reisenden Neu-Franken: Fragmente aus dem Tagebuche eines reisenden Neu-Franken (1798)

„Sind sie ein Kantianer, fragte mich einst ein Staatsrath in Wien? sie haben doch in Göttingen studiert, und man muß sich jetzt sehr in Acht nehmen, dergleichen Queerköpfe zu empfehlen, sie stiften nichts als Unheil in der Welt.“ Ich merkte, was der gute Mann sagen wollte, aber nur ein wenig abenteuerlich ausgedrückt hat, und ich konnte ihm dabey nicht ganz Unrecht geben. Ich kenne ganz das Unheil, was diese Philosophie oder vielmehr einige Grundsätze, die man mit ihrem Namen beehrt hat, ohne ihre Schuld angerichtet hat und ich gebe dem Herrn Nikolai in seinen Reisen ganz Recht über das, wodurch er sich den Haß der Reimenmacher zugezogen hat. Ich möchte nicht gern von Ihnen mißverstanden werden und mache mich deutlicher. Es ist seit einigen Jahren in Teutschland Mode geworden, sich einen Schüler des göttlichen Königsberger Philosophen zu nennen, wenn man auch gleich nie seine Schriften studieret, sondern nur auf der Oberfläche herum getappt hat und gewisse Sätze aus dem Zusammenhange gerissen hat. In Wien ist dies besonders auffallend. Die meisten jungen Leute brüsten sich da mit einer Philosophie, die sie nicht kennen, und brüten Tag und Nacht über Schriften, die nichts weniger als kantische Philosophie athmen und vernachläßigen die sogenannten Brodwissenschaften darüber, so daß die Herrn bey den Dikasterien, die eben so wenig