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eine geschlossene Gesellschaft mit einander unterredeten. Waren ihrer drey, so konnte jede derselben bisweilen schweigen und den andern so lange zuhören, bis sie selbst wiederum etwas Zweckmäßiges zu sagen hatte. Kamen aber auf Ein Mahl mitten in der besten Unterredung ein Paar unberufene und unbescheidene fremde Töne in ihre Mitte gestürzt, und wollten ein Wort, vielleicht gar nur eine Sylbe eines Worts ohne Verstand und Beruf mit einsprechen, so hielt dieß Bach für eine große Unordnung, und bedeutete seine Schüler, daß sie nie zu gestatten sey.

Bey aller Strenge dieser Art, gestattete er dennoch auf einer andern Seite seinen Schülern große Freyheiten. Sie durften im Gebrauch der Intervallen, in den Wendungen der Melodie und Harmonie alles wagen, was sie wollten und konnten, nur mußte nichts vorkommen, was dem musikalischen Wohlklang, oder der völlig richtigen, unzweydeutigen Darstellung des innern Sinnes, um deswillen alle Reinigkeit der Harmonie gesucht wird, nachtheilig seyn konnte. So wie er selbst hierin alle Möglichkeiten versucht hat, so sah er es auch gerne, wenn seine Schüler es thaten. Andere Compositionslehrer vor ihm, wie z.B. Berardi, Bononcini und Fux gestatteten nicht so viele Freyheiten. Sie waren bange, daß ihre Schüler dadurch in Gefahren verwickelt werden möchten, veranlaßten aber dadurch offenbar, daß sie auch nie Gefahren überwinden lernten. Die Lehrart Bachs ist daher gewiß zweckmäßiger und führt weiter. Auch schränkt er sich überhaupt nicht so wie seine Vorgänger bloß auf den reinen Satz an sich ein, sondern nimmt überall Rücksicht auf die noch übrigen Erfordernisse einer wirklich guten Composition, nehmlich auf Einheit des Charakters durch ein ganzes Stück, auf Verschiedenheit des Styls, auf den Rhythmus, auf Melodie etc. Wer die Bachische Lehrmethode in der Composition nach ihrem Umfange kennen lernen will, findet sie in Kirnbergers Kunst des reinen Satzes hinlänglich erläutert.

Endlich durften seine Schüler, so lange sie unter seiner musikalischen Aufsicht standen, außer seinen eigenen Compositionen nichts als classische Kunstwerke studiren und kennen lernen. Der Verstand, durch welchen das wahre Gute erst erkannt wird, entwickelt sich später als das Gefühl, nicht zu gedenken, daß auch selbst dieser durch häufige Beschäftigung mit unechter Kunst irre gemacht und verwöhnt werden kann. Gewöhnung an das Gute ist daher die beste Lehrart für die Jugend. Die Begriffe davon folgen mit

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Johann Nikolaus Forkel: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Hoffmeister & Kühnel, Leipzig 1802, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Forkel_Bach_1802_Seite_41.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)