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überwinden lernte. Dafür hat er aber auch am Ende den schönsten und reizendsten Weg entdeckt, welchen es vielleicht im ganzen Kunstgebiethe giebt.

Nur derjenige, welcher viel weiß, kann viel lehren. Nur derjenige, welcher Gefahren kennen gelernt, selbst ausgestanden und überwunden hat, kann sie gehörig bemerklich machen, und seine Nachfolger mit Erfolg belehren, wie ihnen ausgewichen werden müsse. Beydes vereinigte sich bey Bach. Sein Unterricht wurde dadurch der lehrreichste, zweckmäßigste und sicherste, den es je gegeben hat, und alle seine Schüler traten, wenigstens in irgend einem Zweig der Kunst in die Fußtapfen ihres großen Meisters, ob gleich keiner ihn erreichte und noch viel weniger übertraf.

Ich will zuerst etwas über seinen Unterricht im Spielen sagen. Das erste, was er hierbey that, war, seine Schüler die ihm eigene Art des Anschlags, von welcher schon geredet worden ist, zu lehren. Zu diesem Behuf mußten sie mehrere Monathe hindurch nichts als einzelne Sätze für alle Finger beyder Hände, mit steter Rücksicht auf diesen deutlichen und saubern Anschlag, üben. Unter einigen Monathen konnte keiner von diesen Uebungen loskommen, und seiner Ueberzeugung nach hätten sie wenigstens 6 bis 12 Monathe lang fortgesetzt werden müssen. Fand sich aber, daß irgend einem derselben nach einigen Monathen die Geduld ausgehen wollte, so war er so gefällig, kleine zusammenhängende Stücke vorzuschreiben, worin jene Uebungssätze in Verbindung gebracht waren. Von dieser Art sind die 6 kleinen Präludien für Anfänger, und noch mehr die 15 zweystimmigen Inventionen. Beyde schrieb er in den Stunden des Unterrichts selbst nieder, und nahm dabey bloß auf das gegenwärtige Bedürfniß des Schülers Rücksicht. In der Folge hat er sie aber in schöne, ausdrucksvolle kleine Kunstwerke umgeschaffen. Mit dieser Fingerübung entweder in einzelnen Sätzen oder in den dazu eingerichteten kleinen Stücken, war die Uebung aller Manieren in beyden Händen verbunden.

Hierauf führte er seine Schüler sogleich an seine eigenen größern Arbeiten, an welchen sie, wie er recht gut wußte, ihre Kräfte am besten üben konnten. Um ihnen die Schwierigkeiten zu erleichtern, bediente er sich eines vortrefflichen Mittels, nehmlich: er spielte ihnen das Stück, welches sie einüben sollten, selbst erst im Zusammenhange vor, und sagte dann: So muß es klingen. Man kann sich kaum vorstellen, mit wie vielen Vortheilen diese Methode verbunden ist. Wenn durch das Vergnügen, ein solches Stück

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Johann Nikolaus Forkel: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Hoffmeister & Kühnel, Leipzig 1802, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Forkel_Bach_1802_Seite_38.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)