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wichtigere musikalische Aemter, so wie einen ausgebreitetern Ruf ihrer Geschicklichkeit, und ein glänzenderes äußeres Glück verschaffen können, wenn sie geneigt gewesen wären, ihr Vaterland Thüringen zu verlassen, und sich anderwärts in und außerhalb Deutschland bekannt zu machen. Man findet aber nicht, daß irgend einem derselben die Lust zu einer solchen Auswanderung einmahl angekommen sey. Genügsam von Natur und durch Erziehung, bedurften sie nur wenig zum Leben, und der innere Genuß, den ihnen ihre Kunst gewährte, machte, daß sie die goldenen Ketten, welche damahls geachteten Künstlern von großen Herren als besondere Ehrenzeichen ertheilt wurden, nicht entbehrten, sondern ohne den mindesten Neid sie an andern sahen, die vielleicht ohne diese Ketten nicht glücklich gewesen seyn würden.

Außer dieser schönen, zum frohen Lebensgenuß unentbehrlichen Genügsamkeit, hatten auch die verschiedenen Glieder dieser Familie eine sehr große Anhänglichkeit an einander. Da sie unmöglich alle an einem einzigen Orte beysammen leben konnten, so wollten sie sich doch wenigstens einmahl im Jahre sehen, und bestimmten einen gewissen Tag, an welchem sie sich sämmtlich an einem dazu gewählten Orte einfinden mußten. Auch dann noch, als die Familie an Zahl ihrer Glieder schon sehr zugenommen, und sich außer Thüringen auch hin und wieder in Ober- und Niedersachsen, so wie in Franken hatte verbreiten müssen, setzte sie ihre jährlichen Zusammenkünfte fort. Der Versammlungsort war gewöhnlich Erfurt, Eisenach oder Arnstadt. Die Art und Weise, wie sie die Zeit während dieser Zusammenkunft hinbrachten, war ganz musikalisch. Da die Gesellschaft aus lauter Cantoren, Organisten und Stadtmusikanten bestand, die sämmtlich mit der Kirche zu thun hatten, und es überhaupt damahls noch eine Gewohnheit war, alle Dinge mit Religion anzufangen, so wurde, wenn sie versammelt waren, zuerst ein Choral angestimmt. Von diesem andächtigen Anfang gingen sie zu Scherzen über, die häufig sehr gegen denselben abstachen. Sie sangen nehmlich nun Volkslieder, theils von possierlichem, theils auch von schlüpfrigem Inhalt zugleich mit einander aus dem Stegreif so, daß zwar die verschiedenen extemporirten Stimmen eine Art von Harmonie ausmachten, die Texte aber in jeder Stimme andern Inhalts waren. Sie nannten diese Art von extemporirter Zusammenstimmung Quodlibet, und konnten nicht nur selbst recht von ganzem Herzen dabey lachen, sondern erregten auch ein eben so herzliches und

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Johann Nikolaus Forkel: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Hoffmeister & Kühnel, Leipzig 1802, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Forkel_Bach_1802_Seite_03.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)