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Sie hat gefragt: Gibt es indogermanische, gräkoitalische Mythen, und welches sind ihre etwaigen Kennzeichen? Die überwiegende Mehrzahl hat sie als rein griechische erkannt und nun weiter gefragt: welche sind gemein-griechische, welche Stamm- oder Lokal-Mythen? Auf welchem Wege haben sich diese verbreitet? Inwiefern ist orientalischer Einfluss anzuerkennen? Welches sind national-italische im Gegensatz zu den gräcisirten Mythen? Was hat in ältester Zeit den religiösen Sinn zu Mythenschöpfung angeregt? Welche allgemeinen, welche besonderen oder lokalen Natur-Erscheinungen? Wann und wie ist die Umwandlung ursprünglicher Naturgottheiten in Vertreter sittlicher Mächte erfolgt? Welche historischen Vorgänge haben in Mythen ein Andenken hinterlassen? Wie hat das Mährchen, wie haben die Dichter, wie die Künstler, wie die Philosophen, wie die Küster die Mythen behandelt? Endlich in welchen Gestalten des christlichen Mythos und in welchen Formen des christlichen Kultus leben die griechischen und römischen, wenn auch verändert fort?

Füge ich, um zu Ende zu kommen, nur noch hinzu, dass wir durch Theodor Mommsen ein Römisches Staatsrecht, durch Heinrich Nissen eine italische Landeskunde, aus dem Nachlass von Karl Neumann eine physikalische Geographie von Griechenland erhalten haben, so wird sich die Behauptung keiner Uebertreibung schuldig machen, dass die klassische Philologie – so grosse Aufgaben, wie die Lösung des etruskischen Rätsels, ein attisches Staatsrecht, eine historische Syntax, ein griechisches und lateinisches Lexikon, auch noch der Zukunft vorbehalten sind – zu keiner Zeit so mächtige, so ungeahnte Fortschritte gemacht hat wie im letzten Menschenalter.


Und doch zu keiner Zeit mehr Klagen über die Beschäftigung mit dem klassischen Altertum als heut! Aller Orten, in gelehrten Werken, in Brochüren, Zeitschriften, Tagesblättern begegnet man ihnen. Nun weiss ich zwar: Angriffe gegen die klassische Philologie sind fast so alt wie sie selbst, und mit diesen

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Richard Foerster: Die Klassische Philologie der Gegenwart. Universitäts-Buchhandlung, Kiel 1886, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Foerster_Klassische_Philologie_der_Gegenwart_14.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)