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Tage und zur selben Stunde einen Knaben gebaren. 28 Am dritten Tage aber erdrückte diese im Schlafe ihren eigenen Knaben, nahm mir dann heimlich aus meinem Schosse den meinigen fort, zog ihn zu sich herüber und legte mir, während ich noch schlief, das tote Kind in meine Arme. 29 Als ich nun am Morgen mein Kind nähren wollte, fand ich nicht mein eigenes, sondern das tote Kind dieses Weibes bei mir liegen. Dass die Sache sich wirklich so verhielt, habe ich durch genaue Forschung ermittelt. Ich forderte deshalb mein Kind zurück, und da ich es nicht erhielt, habe ich zu deiner Hilfe, o Herr, meine Zuflucht genommen. Denn weil wir allein waren und sie keine Furcht hat, dass jemand sie überführen könnte, leugnet sie hartnäckig und frech.“ 30 Als sie so gesprochen, fragte der König das andere Weib, ob sie etwas dagegen einzuwenden habe. Diese leugnete die That und behauptete, ihr eigenes Kind lebe, das ihrer Gegnerin aber sei umgekommen. Da wusste nun niemand Rat, und alle zerbrachen sich den Kopf wie über ein Rätsel. Der König allein fand die Lösung. 31 Er befahl sowohl das lebende wie das tote Kind zu holen, rief einen von der Leibwache heran und hiess ihn beide Kinder mit dem Schwerte in zwei Teile teilen und jeder der beiden Mütter die Hälfte von dem einen wie dem andern Kinde geben. 32 Ob dieser Entscheidung des Königs konnten die sämtlichen Anwesenden ein stilles Lächeln nicht unterdrücken, da sie ihn für kindisch hielten. Die wirkliche Mutter aber schrie laut, man solle das doch nicht thun und lieber ihr eigenes Kind dem anderen Weibe geben; sie sei zufrieden, wenn es am Leben bleibe und sie es erblicken könne, möge auch die andere es besitzen. Die andere Mutter dagegen war mit der Teilung sogleich einverstanden, da sie der wirklichen Mutter gern den grausamen Schmerz gegönnt hätte. 33 Da sprach der König, der aus den Worten beider ihre wahre Gesinnung erkannte, der Mutter, die geschrien hatte, das lebende Kind zu, da es in Wahrheit ihr eigenes sei; die andere aber bestrafte er für ihre Bosheit, weil sie, nachdem

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Flavius Josephus: Jüdische Altertümer. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1899, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FlavJosAnt1GermanClementz.pdf/471&oldid=- (Version vom 23.9.2020)