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war, erblickte er nahe bei der Strasse eine tiefe Höhle von grosser Länge und Breite, in der sich zufällig David mit vierhundert Mann verborgen hielt. Und da er gerade ein Bedürfnis zu verrichten hatte, trat er allein in die Höhle ein. 284 Einer von Davids Begleitern aber hatte ihn erblickt und meldete dem David, jetzt biete ihm Gott eine Gelegenheit, sich an seinem Feinde zu rächen; er solle dem Saul den Kopf abschlagen und sich so von seinem ruhelosen Umherirren und seiner Not befreien. David erhob sich darauf, schnitt aber dem Saul nur einen Zipfel des Gewandes ab, welches er trug; denn sogleich erfasste ihn Reue, und er meinte, es sei ungerecht, seinen Herrn zu töten, zumal denjenigen, den Gott zur Königswürde erhoben habe. Wenn derselbe gegen ihn auch übelgesinnt sei, so sei es doch ein Frevel, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. 285 Als nun Saul wieder aus der Höhle hervortrat, eilte David ihm nach und rief ihm zu, er möge ihn doch anhören. Der König blickte zurück, und David fiel auf sein Angesicht nieder, wie es bei Ehrenbezeugungen Sitte war, und sprach: „O König, es steht dir schlecht an, böswilligen und gehaltlosen Verleumdungen dein Ohr zu leihen und zuzulassen, dass diejenigen verdächtigt werden, denen du als deinen wahren Freunden Glauben schenken kannst. 286 Denn Reden täuschen sehr leicht, während man aus den Werken die wahre Gesinnung erkennt. Worte können wahr und falsch sein, Thaten allein offenbaren die Seele, wie sie ist. 287 Aus meinen Thaten aber kannst du entnehmen, wie gut ich es mit dir und deiner Familie meine, und dass diejenigen dies nicht thun, die mir Thaten zur Last legen, welche ich weder ausdenken noch vollführen kann, obgleich du fortfährst, gegen mich erbittert zu sein, und Tag und Nacht auf nichts anderes sinnst‚ als wie du mich ums Leben bringen könntest. Das ist ungerecht von dir. 288 Wie kannst du in einem solchen Irrtum befangen sein, als ob ich dich umbringen wollte? Und wie kannst du so gegen Gott freveln, dass du mich töten willst, da ich mich heute an dir rächen konnte

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Flavius Josephus: Jüdische Altertümer. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1899, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FlavJosAnt1GermanClementz.pdf/371&oldid=- (Version vom 23.9.2020)