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falsch, dass nämlich die theorie Benfeys abgetan sei und zu den toten gehöre. Man darf im gegenteil auf eine baldige auferstehung dieser vielgeschmähten theorie hoffen, nach der sie dann freilich von allerlei schlacken gereinigt und in geläuterter gestalt unter uns wandeln müsste.“

Obwohl ich aber die auffassung habe, dass v. D. Leyen Indien zu sehr bewundert, muss ich zugeben, dass sein werk grosse sachkenntnis und vertrautheit mit den märchen und ihrer untersuchung verrät. Er spricht meines erachtens viele richtige ansichten über die märchen aus. Erwähnt sei besonders seine aufforderung an die forscher immer die ganzen märchen, nicht einzelne aus dem zusammenhang herausgerissene züge und episoden ins auge zu fassen.

Die behauptung, dass indische märchen auch über Nordasien nach Europa gewandert seien, ist zu bezweifeln. Wenigstens habe ich bei meinen untersuchungen nicht die überzeugung gewonnen, dass auf diesem wege märchen vom Orient nach Europa gekommen wären. Wenn sich zwischen den sibirischen und osteuropäischen märchen nähere übereinstimmungen herausgestellt haben, hat es sich gezeigt, dass der einfluss von Europa ausgegangen ist. Der gewöhnlichste weg hat von Südwestasien nach der Balkanhalbinsel geführt.

Woher kommt es aber, dass sich so überaus divergierende auffassungen über die bedeutung der indischen märchen bilden können? Der grund ist meiner ansicht nach der, dass es noch zu früh ist, um die frage entscheiden zu können. Die märchenforschung hat noch zu wenig zuwege gebracht. Man sollte weniger solche fragen allgemeiner art erörtern und sich mehr mit einzelnen märchen beschäftigen. Jedes märchen muss einer genauen, ins einzelne gehenden untersuchung unterworfen werden, man muss sich bemühen möglichst über ihre heimat, ihre verbreitungswege und sonstigen schicksale ins klare zu kommen. Wenn diese arbeit ausgeführt ist, lösen sich die frage nach der bedeutung der indischen märchen und manche anderen fragen von selbst. Es ist das eine grosse und beschwerliche arbeit, und dabei werden wohl anfangs viele irrtümer begangen werden, aber diese arbeit muss auf alle fälle getan werden, denn ohne das ist über die märchen keine klarheit zu gewinnen. Und sie muss jetzt ausgeführt

Empfohlene Zitierweise:
Kaarle Krohn, Emil Nestor Setälä, Yrjö Wichmann (Hrsg.): Finnisch-ugrische Forschungen, Band 12. Red. der Zeitschrift; Otto Harrassowitz, Helsingfors; Leipzig 1912, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Finnisch-ugrische_Forschungen_12_145.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)