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wo der als retter der königstochter auftretende marschall behauptet, die drachen hätten überhaupt keine zunge – der wirkliche sieger hat die zungen herausgeschnitten und als trophäen mitgenommen – auf zufall und nicht auf gegenseitiger abhängigkeit beruht, oder die übereinstimmung, die darin zutage tritt, dass das deutsche Aschenputtel zu dem auf dem grabe der mutter wachsenden haselbaum sagt: „Bäumchen rüttle dich und schüttle dich, wirf gold und silber über mich“ und von dem baum ein golden und silbernes kleid bekommt, dass ein baum in einem indischen jâtaka den kaufleuten wasser, speisen, schöne frauen und kostbarkeiten liefert, und dass in einer tibetischen erzählung von wunschbäumen, sobald die götter und göttertöchter es wünschen, blaue, gelbe, rote und weisse kleider, desgleichen allerhand schmucksachen hervorwachsen. Aber die in einzelzügen und märchenmotiven auftretenden, oft recht allgemeinen ähnlichkeiten sind zu unterscheiden von der übereinstimmung, die sich in ganzen märchen ausspricht und sich wenigstens teilweise bis auf deren einzelne teile erstreckt. Viel missverständnis und verwirrung ist bei der untersuchung von märchen dadurch entstanden, dass nicht genug zwischen märchen und deren einzelnen teilen unterschieden worden ist. Und hiervon rührt es auch gewöhnlich her, dass man auch gegenseitige beeinflussung angenommen hat, wo sie in wirklichkeit nicht bestanden hat, oder der irrtum ist aus unvollständiger kenntnis der märchen entsprungen. Bei den übereinstimmungen und überhaupt bei der untersuchung von märchen sollte man immer bedenken, dass die märchen geschichten sind, logisch zusammenhängende und ästhetisch einheitliche geschichten, die an einem bestimmten ort und in bestimmter zeit entstanden sind und sich dann von diesem ihren entstehungsort nach verschiedenen seiten verbreitet haben. Die züge und episoden haben anfangs ihren platz in einem bestimmten märchen, obwohl sie sich dann aus ihrem ursprünglichen zusammenhang losgelöst und an andere märchen angeschlossen haben können, und in diesem sinn müssen sie behandelt werden. Ja es gibt fälle, wo sich aus solchen stücken sogar ein ganz neues märchen gebildet hat, das seinerseits wieder wie andere märchen von einem ort zum anderen wandert. Halten wir uns bei der beurteilung der übereinstimmung von märchen an

Empfohlene Zitierweise:
Kaarle Krohn, Emil Nestor Setälä, Yrjö Wichmann (Hrsg.): Finnisch-ugrische Forschungen, Band 12. Red. der Zeitschrift; Otto Harrassowitz, Helsingfors; Leipzig 1912, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Finnisch-ugrische_Forschungen_12_142.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)