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ahnung, trotz aller übertreibungen und überladenheiten das vollendetste, was bisher im aufbau und der erfassung der märchen erreicht wurde.“ Besonders entzückt ist er von der indischen erzählungskunst, die in keinem anderen land ihresgleichen habe. Soviel er auch die bei anderen völkern angetroffenen entsprechenden märchen mit den indischen vergleicht, immer bemerkt er, „dass die inder kunstvoller, überlegener und mit reicherer erfindungsgabe erzählten als die nicht-inder“.

Bei der kritik der ansichten Forkes fällt vor allem die grosse bedeutung ins auge, die er dem zufall in den märchen beimisst. Die forscher haben es nicht verstanden die auf zufall beruhenden übereinstimmungen von solchen zu scheiden, die von gegenseitiger abhängigkeit herrühren, und haben die gegenseitige beeinflussung der märchen daher überschätzt. Er sagt: Wie man im leben die seltsamsten übereinstimmungen findet, die lediglich auf zufall beruhen, ebenso spielt der zufall auch in der wissenschaft eine grosse rolle. Zwei menschen können, ohne voneinander zu wissen, so ähnliche entdeckungen gemacht haben, dass man leicht glaubt, der eine habe vom andern entlehnt. Und da auch das phantasiematerial im grossen und ganzen dasselbe ist, müssen auch daraus ohne gegenseitige beeinflussung bisweilen ähnliche produktionen geschaffen werden. Der zufall hat in den volksmärchen eine so grosse rolle gespielt, dass die entlehnung bei der verbreitung der märchen an bedeutung verliert. „In manchen fällen hat aber ohne zweifel eine entlehnung stattgefunden“, räumt Forke gleichwohl ein.

Meiner ansicht nach spricht der verfasser zu viel von zufall. Es dürfte niemand verwundern, wenn ein chinesischer philosoph und ein indischer weiser, ohne voneinander zu wissen, beide über das menschenleben solche beobachtungen gemacht haben, wie dass der mensch ein alter von höchstens 100 jahren erreicht, wovon den grössten teil kindheit, alter und schlaf und den rest noch störender schmerz, krankheit und sorge ausfüllen. Und möglich ist auch – um beispiele aus den märchen zu nennen –, dass die übereinstimmung in der äsopischen fabel vom fuchs, der, nachdem er das herz des getöteten hirsches gefressen, zum löwen sagt, der hirsch habe gar kein herz gehabt, und in dem märchen vom drachentöter,

Empfohlene Zitierweise:
Kaarle Krohn, Emil Nestor Setälä, Yrjö Wichmann (Hrsg.): Finnisch-ugrische Forschungen, Band 12. Red. der Zeitschrift; Otto Harrassowitz, Helsingfors; Leipzig 1912, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Finnisch-ugrische_Forschungen_12_141.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)