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Wodurch ist nun die finnische forschungsmethode charakterisiert? Dadurch, dass zuerst soweit wie möglich alles erreichbare beweismaterial eines zu untersuchenden themas, alle sog. varianten, genau gesammelt werden? Das erstrebt ja überhaupt jede gewissenhafte forschung. Das hauptgewicht liegt hier auf der konzentrierung des sammelns auf ein bestimmtes geographisches gebiet, in dem man sowohl das vollständigste als das zuverlässigste material gewinnen kann. Meistens ist für den forscher das material des eigenen landes der nächste und natürlichste ausgangspunkt. Dies vermag er, wenn in früheren aufzeichnungen einmal lücken erscheinen, mitunter auch durch reisen und nachfragen zu ergänzen und er dürfte es auch am sichersten auf seine beweiskraft hin beurteilen können. Denn die erste bedingung für das gedeihen folkloristischer forschung ist eine stets wache, die beschaffenheit der quellen anzweifelnde kritik. In dieser beziehung ist es für eine angehende wissenschaft am gebotensten möglichst skeptisch vorzugehen. Die finnische volkspoesie ist für die forschung dadurch ein günstiges feld, dass zu ihren kunstmässigen kompilationen wie dem Kalevala fast alle volkstümlichen quellen bewahrt sind. Dazu sind alle literarischen veröffentlichungen so jung, dass ihre einwirkungen auf das volkslied verhältnismässig leicht zu erkennen und auszuscheiden sind.

Aber sogar ein vollständig volkstümliches material lässt sich wissenschaftlich nicht anders als in bestimmter gegenseitiger anordnung behandeln. Wer es unternähme z. b. eine russisch-karelische liedvariante, die meist das schliessliche ergebnis einer langwierigen, auf finnischen boden vor sich gegangenen entwicklung ist, mit irgendeiner nichtfinnischen volkstradition, die ebenfalls ihre eigene geschichte haben kann, zu vergleichen, käme leicht in die gefahr infolge einer zufälligen übereinstimmung fehlschlüsse zu machen. Die finnische methode fordert die geographische einordnung der gesammelten varianten eines zu untersuchenden themas, indem sie diese forderung auf die bei uns wahrgenommene tatsache gründet, dass jede gegend ihre eigene sanges- und erzählungsart hat und dass diese lokalen bildungen einander im allgemeinen näher oder ferner stehen, in demselben verhältnis wie die gegenden selbst. Neben der örtlichen variation ist natürlicherweise

Empfohlene Zitierweise:
Kaarle Krohn, Emil Nestor Setälä, Yrjö Wichmann (Hrsg.): Finnisch-ugrische Forschungen, Band 10. Red. der Zeitschrift; Otto Harrassowitz, Helsingfors; Leipzig 1910, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Finnisch-ugrische_Forschungen_10_038.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)